Aschenputtel: Charaktere, Merkmale & Interpretation

Aschenputtel: Charaktere, Merkmale & Interpretation
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Das Märchen „Aschenputtel“ kurz zusammengefasst (Grimms Version)

Die Mutter eines wohlhabenden, schönen Mädchens erliegt einer Krankheit. Der Vater nimmt sich eine neue Frau. Diese zieht in das Haus ein und bringt zwei Töchter mit, die äußerlich schön sind, aber innerlich "garstig und schwarz von Herzen". Das Mädchen leidet ab sofort sehr unter den neuen Haushaltsangehörigen. Es muss jegliche Hausarbeit verrichten. In dem Märchen ist auch die Rede davon, wie die Stiefschwestern einmal Linsen in die Asche werfen, die das Mädchen dann mühsam wieder heraussortieren muss. Statt eines Bettes ist sein neuer Schlafplatz der Boden neben dem Herd.

Eines Tages fragt der Vater, was er den Töchtern von einem großen Markt mitbringen soll. Während die Schwestern Kleider und Schmuck verlangen, wünscht Aschenputtel sich einen Setzling. Der Vater bringt ihm einen Haselstrauchsetzling mit, den es auf dem Grab der Mutter pflanzt. Auf den Haselstrauch, den das Mädchen hegt und pflegt, lässt sich jeden Tag eine weiße Taube nieder, die ihm immer wieder kleine Wünsche erfüllt.

Eines Tages lädt der König zur Brautschau seines Sohnes alle jungen Frauen aus wohlhabenden Familien zum Ball ein. Die Schwestern gehen hin und lassen sich von Aschenputtel zurechtmachen. Als es selbst den Wunsch äußert, mitzugehen, wird es von der Stiefmutter verspottet. Als eine Art grausamen Scherz erlaubt die Stiefmutter nach anhaltendem Bitten, dass Aschenputtel mitdarf, wenn es innerhalb von zwei Stunden eine ausgeschüttete Schüssel Linsen aus der Asche sortiert, eine Aufgabe, die in so kurzer Zeit eigentlich nicht schaffbar wäre.

Das Mädchen ruft Vögel herbei, die ihm bei dieser Aufgabe helfen und es ist bereits in einer Stunde geschafft. Statt das Mädchen mitgehen zu lassen, wiederholt die Stiefmutter das Ganze mit zwei Schüsseln Linsen und einer Stunde Zeit. Auch diese Aufgabe schafft das Mädchen mithilfe der Vögel. Schlussendlich darf das Mädchen trotzdem nicht mit auf den Ball, da es keine schönen Kleider besitzt.

Das Mädchen erbittet Hilfe am Haselbaum: „Bäumchen rüttel dich, Bäumchen schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich“, wo die Taube ihm ein Kleid und Schuhe aus Gold und Silber herunterwirft. Es wird auf dem Ball nicht von der Stieffamilie erkannt. Dem Prinzen aber fällt das schöne Mädchen auf, er verliebt sich und tanzt den ganzen Abend mit ihm. Als der Prinz das Mädchen dem König vorstellen möchte, läuft es weg. Durch eine List, bei der der Prinz die Treppe mit Pech bestrichen hat, bleibt ein Schuh an den Stufen kleben.

Der Prinz geht auf die Suche nach der Besitzerin des Schuhs. Die Schwestern hacken sich die Fersen ab, damit der Schuh passt. Die Tauben weisen den Prinzen darauf hin, dass keine von beiden die richtige Braut ist, es ist Blut im Schuh. Nach einiger Diskussion zwischen dem Prinzen und der Familie wird schlussendlich das Aschenputtel geholt. Nun erkennt der Prinz das Gesicht der jungen Frau, mit der er den ganzen Abend getanzt hat. Der Prinz nimmt sie auf dem Pferd mit sich, in Begleitung zweier Tauben. Das junge Königspaar heiratet, auf der Hochzeit picken die Tauben den bösen Stiefschwestern dann zur Strafe jeweils ein Auge aus.

Ursprung des Märchens Aschenputtel

Die erste Niederschrift der Geschichte kam nicht von den Brüdern Grimm, sondern vom Italiener Giambattista Basile. Die Erzählung tauchte in der Märchensammlung Pentameron (Fünftagewerk) im Jahr 1636 auf. Der Franzose Charles Perrault schrieb es im Jahr 1697 unter dem Namen „Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre“ („Aschenputtel oder der kleine Glasschuh“) nieder. Bei Perraults Fassung sind die Helfer Mäuse, es gibt eine Kutsche aus einem Kürbis und die Schuhe sind aus Glas. Die Version als Grimmsmärchen tauchte erst im Jahr 1812 auf. Erzählt wurde sich die auch unter dem Namen „Aschenbrödel“ bekannte Geschichte lange vor den niedergeschriebenen Geschichten im ganzen deutschsprachigen, polnischen, dänischen und slawischen Raum.

Symbolik und Deutung von Aschenputtel: Asche, Schuhe, Vögel

Der Märchentext Achenputtel ist voller Symbole. Die wichtigsten davon sind Asche, Schuhe und Vogel.

Asche: Asche ist etwas Verbranntes, ein Überbleibsel von etwas, das zerstört wurde. Sie ist der ständige Begleiter des Mädchens und stellt Verlust und Trauer dar. Die Stiefmutter benutzt die Feuerstelle mit der Asche, um der jungen Frau schikanierende Aufgaben zu geben. So spielt sie und auch die Stiefschwestern mit den Gefühlen des Mädchens auf grausame Weise. Durch die Asche, die der Protagonistin ständig anhaftet, wird sie auch als weniger schön wahrgenommen, als sie eigentlich ist.

Schuhe: Die Schuhe werden je nach Version verschieden dargestellt. Bei dem Grimmsmärchen handelt es sich um Pantoffeln aus Gold und Silber. In mancher symbolischen Deutung steht ein Schuh für Fruchtbarkeit, was bedeutet, dass so wertvolle Schuhe ein besonderes sexuelles Versprechen mit sich bringen. In Perraults Geschichte handelt es sich um Glasschuhe, die vielleicht auf eine besondere Zerbrechlichkeit und auf Jungfräulichkeit hindeuten. In der griechischen Mythologie hatte ein leerer Schuh eine ganz eigene Bedeutung: Er steht für Verlust und Trauer. Offenbar hat das Weglaufen des Mädchens den frisch verliebten Prinzen hart getroffen. Der Verlust dieser Person, die er nur einen Abend lang gesehen hat, wird durch diesen Blickwinkel schwerer und bedeutsamer dargestellt.

Vogel: In Grimms Märchen kommen häufig Vögel vor. Diese Tiere stehen für absolute Freiheit, können sie doch hinfliegen, wo immer sie wollen. Das Mädchen wünscht sich nichts sehnlicher, als frei von ihrer Stieffamilie zu sein und Wünsche sind es auch, die die Vögel ihr erfüllen.

Vergleich mit anderen Versionen

Die modernste bekannte Version des Märchens ist wohl Cinderella als Disney-Film. Dieser kommt der Erzählung „Cendrillon“ von Charles Perrault näher als den anderen Versionen. Hier kommt Neid als Motiv für die grausame Behandlung durch die Stiefmutter und -schwestern zur Geltung, da die Protagonistin als viel hübscher dargestellt wird, als ihre Peinigerinnen.

Statt Tauben hat Cinderella kleine Mäuse und eine gute Fee als Helfer, der Haselbaum und das Grab der Mutter werden hier gar nicht erwähnt. Es gibt eine Kutsche aus Kürbis und das Mädchen läuft nicht weg, sondern der Zauber endet um Mitternacht und zwingt es so zur Flucht. Auch ist das moderne Märchen natürlich weit weniger brutal. Die blutigen Schuhe und das Auspicken der Augen durch die Tauben kommen nicht vor.

Interpretationsmöglichkeiten

Aus moderner feministischer Sicht ist das Märchen als die Befreiung eines Mädchens aus dem Rollenbild der untergeordneten Frau zu sehen. Der Vater verhält sich passiv und sieht sich nicht in der Position, zu intervenieren. Der Haushalt ist eine reine Frauendomäne. Die Stiefmutter und die Schwestern fügen sich in ihre Rollen als wohlhabende Damen, deren Aufgabe es ist, gut auszusehen und nach außen hin weibliche Tugenden darzustellen. Die Stiefmutter möchte hierbei die ganze Aufmerksamkeit ihres Mannes für sich, die Schwestern wollen einen guten Fang machen und später den Prinzen für sich gewinnen. Sie sehen eine Gefahr in der schönen Protagonistin und machen ihr das Leben schwer. Die junge Frau kämpft, bricht aus ihrem alten Leben aus und wird schließlich sogar zu einer Königin.

Psychoanalytisch gesehen ist Aschenputtel eine Geschichte über das Wachsen eines menschlichen Individuums. Das Mädchen wird mit früh einem schweren Verlust konfrontiert und leidet in den darauffolgenden Jahren unter der neuen Situation. Zunächst lässt es sich von der Stieffamilie quälen. Bei einer echten Person mögen hier Gewohnheit, Naivität und Selbstzweifel hinterstecken. Auch könnte ein Schuldgefühl entstanden sein: „Wenn ich so behandelt werde, habe ich es möglicherweise verdient“. Erst das aktive Handeln und die Auflehnung an gegebene Strukturen helfen dem Mädchen, auszubrechen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

Kritische Stimmen mögen die Rolle des Prinzen als überflüssig erachten. Warum braucht es eine männliche Person, um das Mädchen zum Handeln zu animieren? Schlussendlich wird es nur in eine Ehe gedrängt. Sind junge Frauen nicht anders in der Lage, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen? Nun, sicherlich behandelt der Prinz das Mädchen besser, als die Familie es zuvor getan hat, aber heutzutage würde man sich ein anderes, weniger sexistisches Ende wünschen.

In Hinblick auf die erwähnten Symbole Asche, Schuh und Vogel ist das Märchen sehr vielschichtig:

  • Die Asche als Symbol der Trauer und des Verlusts ist zu Anfang überall präsent. Sie haftet der jungen Frau auch an und hindert sie, sich zu entfalten. Die Trauer wird zu einem Gefängnis, stärker, als es die Stiefmutter und die Schwestern je errichten könnten.
  • Der Schuh in Hinblick auf Fruchtbarkeit kommt beim Tanz mit dem Prinzen ins Spiel. Dann der leere Schuh, mit dem der Prinz verzweifelt nach seiner jungen Liebe sucht und mit dessen Hilfe er sie findet. Schuhe tragen außerdem, sie schützen den Träger im Gegensatz zum Barfußgänger vor Steinen und Splittern und helfen, selbstständig an jeden Ort zu gelangen.
  • Der Vogel, das Symbol der Freiheit als Helfer. Die Taube taucht stets am Grab der Mutter auf und könnte als Hilfe aus dem Jenseits zu sehen sein. Durch das helfende Tier schöpft Aschenputtel Mut und bekommt jede Hilfe zur Verfügung gestellt, die es braucht.

Hier ist es ganz klar nicht die böse Stieffamilie, die am Ende gewinnt, sondern die Protagonistin. Sie hat ihre Ziele mit Güte und vor allem Fleiß erreicht. Die Schwestern dagegen wurden am Ende für ihr hässliches Verhalten mit Blindheit bestraft.

Weiterführende Literatur

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